Slobodan Milosevic
Rundfunk- und Fernsehansprache vom 2.10.2000 Verehrte Bürger,
In Erwartung einer zweiten Wahlrunde nutze ich die Gelegenheit, Ihnen meine Ansichten über die Wahlsituation und die politische Lage in unserem Land, insbesondere in Serbien, erläutern. Wie Sie wissen, sind seit einem vollen Jahrzehnt Bemühungen im Gang, die gesamte Balkanhalbinsel unter die Kontrolle einiger westlicher Mächte zu bringen. Ein großer Teil dieser Absichten wurde erreicht durch die Etablierung von Marionettenregierungen in einigen Ländern, durch ihre Verwandlung in Länder mit begrenzter Souveränität, oder sogar ohne jede Souveränität.
Wegen unseres Widerstandes gegen solch ein Schicksal für unser Land wurden wir jeglicher Art von Druck ausgesetzt, dem Völker in der heutigen Welt ausgesetzt werden können. Die Häufigkeit und Intensität der Druckausübung vervielfachte sich im Lauf der Zeit.
Die gesamte Erfahrung, die die Großmächte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesammelt haben im Umsturz von Regierungen, in der Erregung von Unruhe, Anstachelung von Bürgerkriegen, Verunglimpfung oder Liquidation nationaler Freiheitskämpfer, in der Verarmung von Staaten und Nationen - all das wurde gegen unser Land und unser Volk angewandt..
Die Entwicklungen, die für unsere Wahlen organisiert wurden, sind ebenfalls Teil der organisierten Verfolgung unseres Landes und unseres Volkes, weil unser Land und Volk ein Hemmnis bei der Errichtung der vollständigen Beherrschung der Balkanhalbinsel bilden.
Es gibt seit langem eine Gruppierung in unserer Mitte, die unter der Maske oppositioneller politischer Parteien demokratischer Richtung die Interessen von Regierungen vertritt, die die Protagonisten der Drucks gegen Jugoslawien und insbesondere gegen Serbien bilden.
Diese Gruppierung trat in diesen Wahlen unter dem Namen der Demokratischen Opposition Serbiens auf.
Ihr wirklicher Führer ist nicht ihr Präsidentschaftskandidat.
Ihr Führer ist seit langem der Vorsitzende der Demokratischen Partei und Kollaborateur der Militärallianz, die gegen unser Land Krieg führte. Er konnte nicht einmal seine Kollaboration mit dieser Allianz verbergen. In der Tat weiß unsere gesamte Öffentlichkeit von seinem Appell an die NATO, Serbien so viele Wochen zu bombardieren wie für das Brechen seines Widerstandes erforderlich.
Die Gruppierung, die in dieser Weise für diese Wahlen organisiert ist, repräsentiert daher die Armeen und Regierungen, die vor kurzen Krieg gegen Jugoslawien geführt haben.
In Vertretung von deren Interessen gab die Gruppierung Botschaften an unsere Öffentlichkeit heraus, daß Jugoslawien unter ihrer Führung nicht mehr von Krieg oder Gewalt gefährdet sein werde, daß wirtschaftliche Prosperität einkehren, der Lebensstandard rasch und sichtbar steigen werde, daß Jugoslawien angeblich wieder internationale Institutionen beherbergen werde, usw.
Verehrte Bürger,
es ist meine Pflicht, Sie öffentlich und rechtzeitig zu warnen, daß solche Versprechungen falsch sind und die Lage eine ganz andere ist.
Es ist genau unsere Politik, die Frieden garantiert, und ihre steht nur für andauernde Konflikte und Gewalt, und ich werde Ihnen sagen, warum.
Mit der Errichtung einer Regierung, die von einer Gruppe von Ländern, die innerhalb der NATO zu finden sind, unterstützt oder errichtet würde, würde Jugoslawien unvermeidlich ein Land werden, dessen Territorium rasch aufgeteilt würde.
Dies sind nicht nur die Absichten der NATO alleine. Dies sind die Versprechungen der Demokratische Opposition Serbiens vor der Wahl. Wir haben von ihren Repräsentanten gehört, daß der Sandschak die Autonomie erhalten werde, die das Mitglied ihres Bündnisses und Führer einer separatistischen Muslimorganisatsation, Suleiman Ugljanin, seit zehn Jahren fordert, und die in Wirklichkeit eine endgültige Abtrennung des Sandschak von Serbien bedeuten würde.
Ihre Versprechungen schließen auch eine Autonomie für die Vojvodina ein, die diese nicht nur von Serbien und Jugoslawien abtrennen, sondern sie in Wirklichkeit zu einem integralen Teil des Nachbarlandes Ungarn machen würde.
In ähnlicher Weise würden auch andere Gebiete von Serbien abgetrennt werden, insbesondere seine Grenzregionen.
Ihre Annexion durch Nachbarländer ist seit langem eine heiße Frage in diesen Staaten, die ihre Minoritäten in Jugoslawien anstacheln, einen Beitrag zur Einverleibung von Teilen unseres Landes in Nachbarstaaten zu leisten.
Im Rahmen dieser Aufteilungspolitik gegenüber Jugoslawien würde Kosovo das erste Opfer sein. Sein gegenwärtiger Status würde zum legalen und endgültigen erklärt. Er wäre der erste Teil seines Territoriums, dem Serbien Lebewohl sagen müßte, ohne auch nur die Hoffnung zu äußern, daß Teile seines Landes ihm eines Tages zurückgegeben werden.
Das Territorium, das unter dem Namen Serbien verbleiben würde, würde von internationalen Truppen der USA oder eines dritten Landes besetzt, die dieses Territorium als militärisches Übungsgelände und als ihr Eigentum behandeln würden, das in Übereinstimmung mit den Interessen des Landes, dessen Armee dort steht, zu kontrollieren ist.
Wir haben Fälle von solcher Kontrolle und ihren Konsequenzen seit Jahrzehnten und insbesondere in diesem Jahrzehnt in vielen Ländern rund um die Welt sehen können, leider seit kurzem auch in Europa, z.B. in Kosovo, in der Republik Serbien und in Mazedonien, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.
Die Menschen Serbiens würden das Schicksal der Kurden teilen, mit der Aussicht, schneller als die Kurden ausgelöscht zu werden, da sie weniger zahlreich sind, und da ihre Bewegungen auf ein viel kleineres Gebiet beschränkt wären als das, in dem die Kurden seit Jahrzehnten präsent sind.
Was Montenegro betrifft, würde sein Schicksal den Händen der Mafia überlassen werden, deren Spielregeln den Bürgern deutlich bekannt gemacht werden sollten: auf jedem Bruch der Disziplin und insbesondere auf jedem Widerspruch zu Mafiainteressen steht die Todesstrafe ohne Berufungsrecht.
Ich habe Ihnen das Schicksal Jugoslawiens dargestellt für den Fall daß die Option, die die NATO für unser Land bereithält, akzeptiert wird, um Sie zu warnen, daß alle, außer dem Landverlust und der Erniedrigung der Menschen, unter unaufhörlicher Gewalt leben würden.
Die neuen Besitzer des Territoriums des früheren Jugoslawien und Besetzer des verbleibenden serbischen Territoriums würden die Bevölkerung, deren Territorium sie besetzen würden, terrorisieren - das ist die Natur der Dinge.
Das serbische Volk selbst würde gleichzeitig unablässig für die Wiederherstellung eines serbischen Staates kämpfen, in dem es sich wieder zusammenschließen könnte.
Sie wollen nicht Frieden oder Prosperität auf dem Balkan. Sie wollen ihn zu einer Zone permanenter Konflikte und Kriege machen, die sie mit einem Alibi für ihre andauernde Präsenz ausstatten würden.
Eine Marionettenregierung garantiert daher Gewalt, möglicherweise viele Jahre Krieg, alles andere als Frieden. Nur unsere eigene Regierung garantiert Frieden.
Darüber hinaus sind alle Länder, die sich im Status begrenzter Souveränität und unter Regierungen unter dem Einfluß ausländischer Mächte befinden, rasch verarmt, in einer Art und Weise, die alle Hoffnungen auf gerechtere und humanere soziale Beziehungen zerstört.
Eine große Spaltung in eine arme Mehrheit und eine reiche Minderheit, das ist seit einigen Jahren das Bild Osteuropas, das wir alle sehen können.
Dieses Bild würde auch uns einschließen. Auch wir würden unter dem Befehl und der Kontrolle der Eigentümer unseres Landes rasch eine überragende Mehrheit von sehr Armen bekommen, deren Aussichten, aus der Armut herauszukommen, sehr, sehr ungewiß und weit in der Zukunft wären.
Die reiche Minderheit würde gebildet von der Schwarzmarkt-Elite, der man es erlauben würde reich zu sein nur unter der Bedingung, daß sie völlig loyal gegenüber dem Befehl ist, der das Schicksal ihres Landes entscheidet.
Öffentliches und gesellschaftliches Eigentum würde rasch in Privateigentum umgewandelt, dessen Eigentümer jedoch, wie die Erfahrungen unserer Nachbarn zeigen, in der Regel Ausländer wären. Unter den wenigen Ausnahmen würden sich nur die befinden, die ihr Recht auf Eigentum durch ihre Loyalität und ihre Unterwürfigkeit erwerben würden, was zur Eliminierung der elementaren nationalen und menschlichen Würde führen würde.
Die größten nationalen Besitztümer werden unter diesen Umständen Eigentum von Ausländern, und die Leute, die sie bisher leiteten, würden dies weiter tun, aber als Angestellte ausländischer Firmen in ihrem eigenen Land.
Nationale Erniedrigung, Auseinanderbrechen des Staates und soziales Elend würden unausweichlich zu vielen Formen sozialer Krankheiten führen, unter denen das Verbrechen die erste wäre. Dies ist nicht bloß eine Vermutung, dies ist die Erfahrung aller Länder, die den Weg eingeschlagen haben, den wir um jeden Preis zu vermeiden versuchen.
Die Hauptstädte des europäischen Verbrechens sind nicht mehr im Westen, sie wurden vor einem Jahrzehnt nach Osteuropa verlegt.
Unsere Menschen finden es schwer, bereits die gegenwärtige Verbrechenshäufigkeit zu ertragen, weil wir lange Zeit - vom zweiten Weltkrieg bis zu den neunziger Jahren - in einer Gesellschaft gelebt haben, die Verbrechen überhaupt kaum kannte. Verbrechen im größeren Ausmaß, wie es sich nicht vermeiden läßt in einer Gesellschaft, die wir durch den Verlust der Souveränität und eines großen Teils unseres Territorium würden, wäre ebenso gefährlich für unser kleines, an Verbrechen nicht gewöhntes Volk, wie es für die Gesellschaft und ihre Bürger gefährlich ist.
Eine der wesentlichen Aufgaben einer Marionettenregierung in einem jeden Land, einschließlich des unseren, wenn wir solch eine Regierung bekämen, ist der Verlust der Identität.
Länder unter fremdem Befehl vergessen relativ rasch ihre Geschichte, ihre Vergangenheit, ihre Tradition, ihre nationalen Symbole, ihre Lebensweise, oft ihre eigene Literatursprache.
Die zunächst unsichtbare, aber sehr wirksame und gnadenlose Ausscheidung der nationalen Identität würde sie auf ein paar Nationalgerichte, ein paar Lieder und Volkstänze reduzieren, und die Namen der nationalen Helden würden als Markennamen für Lebensmittel oder Kosmetik gebraucht.
Eine der wirklich offenkundigen Konsequenzen der Übernahme von Territorien von Ländern durch die Großmächte im 20. Jahrhundert ist die Vernichtung der Identität der Völker dieser Länder.
Die Erfahrung anderer Länder zeigt, daß die Menschen kaum fertig werden mit der Geschwindigkeit, mit der sie beginnen, eine fremde als die eigene Sprache zu gebrauchen, sich mit fremden historischen Gestalten zu identifizieren und ihre eigenen zu vergessen, besser mit der Literatur ihrer Okkupanten vertraut zu sein als mit der eigenen, die Geschichte anderer zu glorifizieren und die eigene zu verspotten, anderen anstatt sich selbst ähnlich zu sein.
Der Verlust der nationalen Identität ist die größte Niederlage, die eine Nation durchmachen kann, unvermeidlich unter der heutigen Form der Kolonisation.
Außerdem schließen die neuen Formen der Kolonisierung durch ihr Wesen jegliche Möglichkeit der freien Rede oder des freien Willens aus, und insbesondere schließen sie jegliche Kreativität aus.
Länder, die nicht frei sind, verweigern den Menschen, die in ihnen leben, das Recht auf freie Rede, weil das notwendigerweise dem Fehlen der Freiheit konträr geht.
Daher ist die Gedankenfolter die durchgängigste und wesentlichste Form der Folter in einem Land, das seine Freiheit verloren hat. Nach dem freien Willen zu handeln ist natürlich ausgeschlossen. Freier Wille ist nur als Farce zugelassen. Er wird nur den Lakaien ausländischer Herren zugestanden, und deren gespielter freier Wille wird von den Besatzern als Rechtfertigung für die Errichtung der Demokratie benutzt, in deren Namen sie vom Land eines anderen Volkes Besitz ergriffen haben.
Ich möchte vor allem im Hinblick auf die Jugend, auf Intellektuelle und Wissenschaftler darauf hinweisen, daß Länder, die ihrer Souveränität beraubt sind, in der Regel des Rechts auf kreative Arbeit beraubt sind, und insbesondere auf kreative Arbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft.
Große Zentren und große Mächte finanzieren die wissenschaftliche Arbeit, kontrollieren ihre Zugänglichkeit und entscheiden über die Anwendung ihrer Ergebnisse. In abhängigen Staaten, wenn sie wissenschaftliche Laboratorien und Institute haben, sind diese nicht unabhängig, sondern arbeiten als Zweigstellen, die von einem Zentrum aus kontrolliert werden. Ihre Zugänglichkeit muß innerhalb von Grenzen bleiben, die in besetzten Ländern und Völkern das Hereintragen der Saat der Rebellion und Emanzipation verhindern.
Zu diesem Zeitpunkt vor den Stichwahlen üben Führer der Demokratische Opposition Serbiens, weil die Demokratische Opposition Serbiens im Zweifel ist, ob sie die Ergebnisse, die sie braucht, erzielen kann, mit Geld, das ins Land gebracht wurde, Bestechung, Erpressung und Belästigung gegenüber Bürgern aus, organisieren Streiks, Unruhe und Gewalt, um die Produktion, jegliche Arbeit und Aktivität zu stoppen.
All dies natürlich mit der Absicht, das Leben in Serbien zu stoppen, und mit der Erklärung, daß das Leben wieder beginnen und gut und erfolgreich weitergehen kann, wenn es von denen organisiert wird, die hier die Absichten, Pläne und Interessen von Okkupanten vertreten.
Unser Land ist ein souveräner Staat. Es hat seine Gesetze, seine Verfassung, seine Institutionen. Serbien ist verpflichtet und will sich gegen die Invasion verteidigen, die gegen es vorbereitet wird mittels falscher Formen von Subversion.
Und die Bürger sollten wissen, daß durch Teilnahme an der Subversion, deren Ziel die ausländische Herrschaft über ihr Land oder die Besetzung ihres Landes ist, sie die historische Verantwortung auf sich laden, ihrem Land das Existenzrecht abzusprechen, aber auch die Verantwortung dafür, daß sie Kontrolle über ihr eigenes Leben verlieren.
Durch die Auslieferung ihre Landes an andere, an fremden Willen, liefern sie auch ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder und vieler anderer Menschen an fremden Willen aus.
Ich habe es als meine Pflicht angesehen, die Bürger unserer Landes vor den Konsequenzen der Handlungen zu warnen, die von den Regierungen der NATO-Länder finanziert und unterstützt werden.
Die Bürger müssen mir nicht glauben.
Mein Wunsch ist nur, daß sie sich darüber klar werden nicht erst, wenn es zu spät ist, daß sie sich nicht erst dann darüber klar werden, wenn es schwierig sein wird, Fehler wieder gutzumachen, die Bürger aus Naivität, aus Oberflächlichkeit oder Irrtum begehen, denn diese Fehler werden nur schwer korrigiert werden können, einige davon nie.
Mein Motiv bei dieser meiner Meinungsäußerung ist in keiner Weise persönlich. Ich bin zweimal zum Präsidenten von Serbien und einmal zum Präsidenten von Jugoslawien gewählt worden. Es sollte allen nach diesen zehn Jahren klar sein, daß sie nicht Serbien wegen Milosevic, sondern Milosevic wegen Serbien angreifen.
Mein Gewissen in dieser Hinsicht ist völlig rein.
Mein Gewissen wäre jedoch überhaupt nicht rein, wenn ich meinem Volk nach all diesen Jahren an seiner Spitze nicht sagen würde, was ich über ihr Schicksal, wenn es von jemand anderem ihnen auferlegt würde, denke, selbst wenn das bedeutet, dem Volk zu erklären, daß sie dieses Schicksal selbst gewählt haben.
Das Fehlurteil, daß sie wählen, was von jemand anderem gewählt wurde, ist das gefährlichste Fehlurteil und die Hauptursache meiner Entscheidung, mich öffentlich an die Bürger Jugoslawiens zu wenden.
Ich danke Ihnen.
Übersetzung aus der englischen Fassung
Quelle: http://www.serbia-info.com/news/2000-10/03/20797.html